Wie kann die Mobilität in einer lebenswerten Zukunft aussehen?

16. Juni 2023 | Lesezeit: ca. 4 Minute(n)
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Diese Frage beschäftigt Menschen und Medien auch angesichts des Klimawandels immer mehr. Eine Forscherin, die sich damit beruflich beschäftigt, ist Dr. Annedore Bergfeld vom Leibniz-Institut in Leipzig. Dort befasst sie sich als Projektleiterin schwerpunktmäßig mit den Themen Stadt- und Regionalplanung, Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sowie Kommunalwirtschaft. Wir sprachen mit ihr über die Zukunft der Mobilität in der Stadt und auf dem Land.

Frau Dr. Bergfeld, fahren in der Stadt der Zukunft überhaupt noch Autos?

Das kann ich Ihnen nicht seriös beantworten. Die Frage ist ja immer, welchen Zeithorizont man betrachtet. Ich denke, dass der Individualverkehr noch eine ganze Weile ein Thema sein wird. Das Problem bei einer solchen Prognose ist natürlich, dass man nicht abschätzen kann, wie schnell technische Entwicklungen vorangehen. Vor zwanzig Jahren hätten wir zum Beispiel nicht vermutet, dass unsere Handys eine solche Vielzahl von Funktionen übernehmen können. Wenn das autonome Fahren viel schneller vorankommt, als wir es im Moment vermuten, kann sich das individuelle Fahren natürlich ganz anders gestalten, als wir es heute kennen.

Inwieweit?

Sie rufen sich dann einfach per App ein Shuttle oder ein autonom gesteuertes Auto an den Ort, wo sie es zu einer bestimmten Zeit brauchen und lassen sich von A nach B fahren. Das Fahrrad als gesundheitsbewusstes und umweltfreundliches Verkehrsmittel wird aber auch weiter eine große Rolle spielen. Was den ÖPNV angeht, ist die Frage entscheidend, wie es ihm gelingt, die Technologie des autonomen Fahrens einzusetzen. Aber auch die Schiene wird ihre Berechtigung noch eine ganze Weile behalten. Die bereits vorhandene Infrastruktur hat ja auch durchaus ihre Vorzüge.

Dr. Annedore Bergfeld vom Leibniz-Institut in Leipzig
Dr. Annedore Bergfeld

Lassen wir uns also alle irgendwann von einem autonomen Chauffeur im Shuttle durch die Gegend fahren?

Ich würde weniger von einem Shuttle ausgehen, sondern eher von Kleinbussen, die dank Künstlicher Intelligenz in die Quartiere geleitet werden, wo es Bedarf gibt. Dadurch wird dann auch deutlich weniger Verkehr generiert. Das ist im städtischen Kontext sicher noch einfacher als auf dem Land. Aber auch der Lieferverkehr von Gütern ins Quartier könnte damit gekoppelt werden.

Und der Standard-Antrieb ist elektrisch?

Auch da sollten wir ein wenig offener denken. Elektrisch betriebene Fahrzeuge sind in ihrer Ökobilanz bislang nicht wirklich besser als Kraftfahrzeuge, die fossile Kraftstoffe nutzen. Vielleicht gibt es in der Zukunft auch ganz andere Lösungen für das CO2-Problem, sei es Wasserstoff oder andere Varianten, die wir heute noch gar nicht auf der Agenda haben.

Stichwort Zukunft: Ab wann sind Prognosen in Sachen Mobilität eigentlich utopisch oder wie weit können wir überhaupt realistisch schauen?

Ich würde sagen, wir können zehn, höchstens 15 Jahre einigermaßen sicher abschätzen. Es gibt heute schon viele Entwicklungen, die bereits vorliegen, aber eben noch nicht umsetzungsreif sind. Hier ist dann auch die Frage, wie stark man als Gesellschaft daran interessiert ist, eine solche Entwicklung in die Umsetzung zu bringen und wie schnell sie sich durchsetzt.

Der Autofahrer oder die Autofahrerin im eigenen Wagen, vielleicht sogar im Verbrenner, ist also auf absehbare Zeit keine aussterbende Gattung?

In den nächsten zehn Jahren sehe ich diese Entwicklung jedenfalls noch nicht. Die Wissenschaft muss solche Fragen ja immer ergebnisoffen diskutieren. Momentan wird die Elektromobilität als Allheilmittel gesehen. Das ist sie aber nicht, denn Elektromobilität erfordert einen sehr hohen Aufwand bei der Produktion, benötigt auch endliche Rohstoffe. Zudem muss die Elektroenergie ausreichend bereitgestellt und nachhaltig produziert werden.

Wir brauchen die Verbrenner also vorerst noch?

Nicht unbedingt die Verbrenner, wie wir sie jetzt kennen, sondern noch effektivere. Wir sollten hier offen nach Lösungen suchen. Die Wissenschaftsgeschichte hat uns gezeigt, dass es nicht hilfreich ist, sich auf einen Pfad zu beschränken.

"Wir müssen viel mehr Geld in die Hand nehmen, um den ÖPNV zu fördern."

Was wird sich beim ÖPNV ändern?

Bezogen auf Deutschland fände ich es notwendig, viel mehr Geld in die Hand zu nehmen, um den ÖPNV zu fördern. Das kann zum Beispiel mit attraktiven Angeboten für die letzte Meile wie den PlusBus im MDV-Gebiet gelingen. Das machen uns die Schweiz und Österreich vor. Da ist der ÖPNV bis ins letzte Dorf hinein selbstverständlich, da fahren regelmäßig Busse mit vertretbarem Aufwand. In diesem Bereich gibt es noch jede Menge Potenzial und das wäre auch ein Wunsch von mir, wenn ich an die Entwicklung des ÖPNV in den nächsten zehn Jahren denke.

Auf der letzten Meile würde dann die Stunde der autonom gesteuerten Kleinbusse schlagen, oder?

Das wäre auf jeden Fall eine gute Lösung. Erste Ansätze gibt es ja schon, das ist aber letztlich ein finanzielles Problem. Modernere Rufbusvarianten würden die Attraktivität des ÖPNV deutlich steigern. Das würde viel dazu beitragen, dass nicht mehr jede*r im ländlichen Raum ein eigenes Fahrzeug haben muss.

Wird das ein gewaltiger Kraftakt oder hat das ein Land mit der Wirtschaftskraft Deutschlands locker drauf?

Man muss es nur wollen. Es ist immer die Frage, wo man Schwerpunkte setzen, wo man Geld hineinstecken. Der Verkehr ist in bestimmtem Umfang einfach ein Klimakiller und wenn man die richtigen Angebote im ländlichen Raum macht, gibt es auch ein Umdenken und es entstehen neue, klimafreundlichere Verhaltensmuster.

Bildquellen: A. Bergfeld; Shutterstock


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