FLASH-Bus nimmt in Nordsachsen Fahrt auf

23. August 2022 | Lesezeit: ca. 6 Minute(n)
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Seit dem 14. Juli 2022 pendelt der selbstfahrende Bus im Stundentakt auf der vier Kilometer langen Strecke zwischen dem S-Bahnhof Rackwitz und dem Schladitzer See zum MDV-Tarif. Bis zu 20 Personen – verteilt auf 14 Sitz- sowie 6 Stehplätzen – kann der FLASH-Bus ("FahrerLoses Automatisiertes SHuttle") zum beliebten Badesee im Norden von Leipzig befördern. Obwohl der Linienbus mit seinen stolzen 180 PS bis zu 70 km/h schafft, ist er aktuell noch mit einer etwas geringeren Geschwindigkeit unterwegs. Warum das Potenzial bisher nicht gänzlich ausgeschöpft wird, weshalb weiterhin ein Sicherheitsfahrer oder eine Sicherheitsfahrerin mit an Bord ist und wie der Start verlief, darüber sprach der MDV mit Christian Hoyas, Sachgebietsleiter ÖPNV im Landkreis Nordsachsen.

Hallo Herr Hoyas. Wenn Science-Fiction zu Realität wird: FLASH ist der erste automatisierte Bus in Sachsen, der am öffentlichen Verkehr teilnimmt. Wie stolz sind Sie auf dieses Projekt?

Ich bin mit der bisherigen Entwicklung sehr zufrieden. Das ist ein erster wichtiger Schritt, um automatisierte Busse bewusst in den ÖPNV zu integrieren. Als wir mit der Konzeption von FLASH begonnen haben, war alles erst einmal graue Theorie und nicht wirklich greifbar. Jetzt, wo der FLASH-Bus in den Pilotbetrieb gegangen ist, sind wir mächtig stolz auf das Geleistete. Nun beginnt die praktische Lernphase.

FLASH

Am 14. Juli fiel – nach rund einjähriger Übungsphase – der Startschuss für den FLASH-Bus im Regelbetrieb: Wie fällt Ihr erstes Fazit aus?

Wir sind mit dem Start durchaus zufrieden, vieles funktioniert bereits tadellos, aber an einigen Stellschrauben müssen wir noch drehen. Man darf aber nicht vergessen, dass der FLASH-Bus mit seinen fast 8 Metern und 5,5 Tonnen im Vergleich zu einem Auto wesentlich länger und schwerer ist. Wenn Störungen auftreten oder es zu Fehlern kommt, dann analysieren und beheben wir diese. Das ist ein ganz normaler Lerneffekt auf dem Gebiet des autonomen Fahrens.

Warum haben Sie sich für den Dieselmotor und ein hybrides Steuerungskonzept entschieden?

Als wir 2019 mit dem FLASH-Projekt angefangen haben, gab es in unserer favorisierten Fahrzeugklasse kein Fahrzeug mit einem Elektromotor. Da die Konzeption eines eigenen Fahrzeuges mit Elektroantrieb zu preis- und zeitintensiv gewesen wäre, haben wir mit dem VW Crafter auf ein gängiges Modell – in diesem Fall mit einem Dieselmotor – zurückgegriffen. Unsere Priorität lag mehr auf der Integration der hochautomatisierten Fahrfunktion als auf dem alternativen Antrieb. In Zukunft werden Busse mit Elektroantrieb zum Einsatz kommen – das steht jetzt schon fest. Zudem haben wir uns für ein hybrides Steuerungskonzept entschieden, damit die Möglichkeit gegeben ist, zwischen automatisiertem und manuellem Betrieb wechseln zu können.

FLASH

Ruckeln und Zuckeln statt ruhiges Fahren, lautet nach den ersten Fahrten der häufigste Kritikpunkt: Woran liegt das und wie kann das behoben werden?

Die Fahrten verlaufen zugegebenermaßen etwas holprig, aber das hat Gründe, an deren Lösung wir eifrig arbeiten. Im automatisierten Betrieb beschleunigt, lenkt und bremst eine Steuerungssoftware. Und diese muss sich – wie beispielsweise auch Fahranfänger*innen – erst an das Fahrzeug gewöhnen. Ein einfaches Beispiel aus dem Alltag: Wer allein im Auto fährt, muss weniger auf das Gaspedal treten, als wenn er mit drei Personen und einem vollen Kofferraum unterwegs ist. Bei FLASH ist das ähnlich. Das System muss den Unterschied zwischen 5, 13 und 20 Fahrgästen kennen, um so den Umgang mit dem Acht-Gang-Motor besser dosieren zu können. Wir hoffen, dass FLASH in spätestens drei Jahren eine geschmeidigere Fahrweise an den Tag legt und Verkehrssituationen allein präzise einschätzen kann.

Deswegen ist aktuell ein Sicherheitsfahrer oder eine Sicherheitsfahrerin mit an Bord, richtig? Wann greifen diese ein?

Unsere zehn ausgebildeten Sicherheitsfahrer und -fahrerinnen übernehmen aktuell unter anderem das Steuer, um an neuralgischen Punkten sowie situativen Hindernissen einzugreifen. Jüngst saß ich mit im FLASH-Bus und es kam zu folgender Situation: Aufgrund einer Havarie wurde kurzfristig eine Baustelle errichtet, die das System nicht kannte. Als plötzlich ein Mitarbeiter drohte aus dem Einsatzfahrzeug zu steigen und auf die Fahrbahn zu treten, hatte der Sicherheitsfahrer entsprechend eingegriffen. Aber: Die Eingriffe werden mit jeder Fahrt weniger. Mittels Sensoren, Scanner, Außen- und Innenkameras werten wir die Fahrten regelmäßig aus, ziehen neue Schlüsse und optimieren das FLASH-System. Hilfreich ist hierbei vor allem das Fahrtentagebuch der Fahrerinnen und Fahrer, aus denen wir weitere wichtige Erkenntnisse erhalten. Auch wenn der FLASH-Bus inner- und außerorts noch mit einer geringen Geschwindigkeit unterwegs ist – langsam nimmt er richtig Fahrt auf!

FLASH-Innenraum mit Fahrgastmonitor während Testfahrt

Warum sind Fahrten im Realbetrieb so entscheidend für die Weiterentwicklung des autonomen Fahrens im ÖPNV?

Für das System und seine Weiterentwicklung ist der Einsatz unter realen Verkehrsbedingungen elementar. Das ist nämlich keineswegs vergleichbar mit automatisierten Fahrten auf einem Firmengelände, auf dem es in der Regel zu keiner bzw. einer viel geringeren Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmenden oder infrastrukturellen Veränderungen kommt.
Das System lernt mit jeder Fahrt seine Umgebung – Haltestellen, Bäume oder parkende Autos – besser kennen.

Damit das auch so bleibt, ist eine vorrangige Aufgabe von uns, die Strecke bestmöglich zu pflegen und Neuerungen sofort in die Software zu integrieren.

Wie viele Fahrgäste sind mit dem FLASH-Bus gegenwärtig unterwegs?

Die ersten Wochen haben gezeigt, dass der FLASH-Bus auch unter den Fahrgästen großes Interesse geweckt hat. Wir haben nicht zu viele, aber auch nicht zu wenig Fahrgäste. Vor allem die Fahrten morgens sind besonders beliebt, tagsüber sinkt die Zahl zumeist auf deutlich unter zehn Fahrgäste.

Leitet FLASH die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs ein?

In Deutschland gibt es um die 60 Projekte, die sich mit dem automatisierten Fahren auseinandersetzen. FLASH ist als Pilotprojekt ein Vorreiter auf diesem Gebiet und sticht dabei heraus. Zum einen wegen seiner Geschwindigkeit, der Fahrgastanzahl und dem hybriden Steuerungsantrieb. Zum anderem, weil er auf einer fest definierten Strecke im öffentlichen Verkehrsraum, zum Einsatz kommt. Das ist einmalig in Deutschland. FLASH zeigt, welches Potenzial autonomes Fahren für den ÖPNV hat, wenn es zielgerichtet eingesetzt wird. Es macht den ÖPNV noch nachhaltiger, leistet einen maßgeblichen Beitrag zur Reduzierung von Umweltbelastungen und kann nicht zuletzt auch Personalengpässe überbrücken. Was er uns aber auch zeigt, ist, wie viel Arbeit noch vor uns liegt. Wer kontrolliert in einem Bus ohne Fahrer oder Fahrerin die Tickets? Wie setzen wir Barrierefreiheit um? Und was passiert, wenn der Bus überfüllt ist? Kurzum: Die Zukunft bleibt spannend.

FLASH ist erst der Anfang: Welche weiteren Projekte möchte der Landkreis Nordsachsen perspektivisch angehen?

Wir planen unter anderem die Errichtung einer 5G-Leitstelle und einen automatisierten Fahrradverleih. Dazu arbeiten wir an einem individuellen Platooning-Projekt. Dabei schließen sich zwei hochautomatisierte Fahrzeuge – beispielsweise mit FLASH als sogenanntes Front-Hauptverkehrsfahrzeug – zu einem Konvoi zusammen, wobei das hintere automatisch dem vorderen folgt. Mit diesem Vorgehen können wir wesentlich besser auf erhöhte Fahrgastzahlen reagieren. Potenzielle Einsatzgebiete sind zum Beispiel Industriestandorte und Gewerbegebiete. Autonome Fahrzeuge bieten den Nutzerinnen und Nutzern des Nahverkehrs ein Angebot, das sich an ihren Bedürfnissen orientiert.

Vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Hoyas!

Weitere Informationen zum FLASH-Bus unter www.flash-bus.de

Bildquellen: Christian Modla, IAV


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