Lastenräder sind ein Teil der Verkehrswende
4. Januar 2023 | Lesezeit: ca. 6 Minute(n)rad3 steht seit über 10 Jahren für Lastenräder in Leipzig. Angefangen hat das Unternehmen mit einem kleinen Laden im Leipziger Westen, genauer gesagt im Herzen von Lindenau. Der Anfang war schwer, aber mittlerweile boomt das Radgeschäft. Lastenräder sind heute en vogue. In den letzten zwei Jahren sind die Umsätze der Branche enorm gestiegen. Davon profitiert auch rad3 und konnte kräftig expandieren. Ich bin neugierig auf die neue Zentrale und fahre in den Leipziger Norden. Natürlich mit dem Rad.
Früher standen hier Pferde
Es ist zehn Uhr morgens. Susann Reuter, Geschäftsführerin von rad3, empfängt mich im neuen Hauptquartier auf der Delitzscher Straße in Leipzig-Eutritzsch. Die fünfzehn Meter hohe Halle ist riesig. Im vorderen Teil stehen aufgereiht an die 30 Lastenräder der unterschiedlichsten Hersteller. Am Empfangstresen liegen Dutzende Broschüren, zwei Mitarbeiter*innen starten gerade in den Arbeitstag. Das Küchen-Sanitär Modul im Zentrum der Halle verdeckt geschickt den Werkstattbereich, ohne zu viel Platz einzunehmen. Susann und ich setzen uns auf die Couch in der Chillout-Lounge. "Wir haben hier oft Familien im Laden. Die Kinder freuen sich, wenn sie hier am Tisch spielen und basteln können. Dann haben die Eltern Zeit, sich in Ruhe umzuschauen."
Die Halle hat im wahrsten Sinne des Wortes eine bewegte Geschichte. Bereits 1886 wird auf dem Grundstück das Depot Eutritzsch als vierter Straßenbahnhof der Leipziger Pferde-Eisenbahn errichtet und bis 1950 genutzt. Die Eutritzscher Straßenbahntrasse war zuvor schon 1872 als eine der ersten Trassen der Stadt eröffnet worden. In der DDR wird die Halle als Autohaus genutzt. Hier gehen bis 1989 Trabant, Wartburg & Co über den Sprelacart-Tresen. Bei den jahrelangen Wartezeiten sicher ein stockendes Geschäft ohne viel Trubel. Nach der Wende bleibt das Auto weiterhin zentraler Verkaufsartikel. Nur die Marken ändern sich: Mit der Marktwirtschaft kommen VW und Audi in die Halle. Mit rad3 zieht die Verkehrswende an den Standort. Seit Juni 2022 stehen hier nun Lastenräder.
Fahrräder verkaufen aus Überzeugung
Susann Reuter und ihr Team lieben, was sie tun und handeln aus Überzeugung. Für sie ist das Fahrrad ein Grundbaustein der Mobilitätswende. Sie verkaufen hier nicht nur Lastenräder, sondern ein Stück weit auch politisches Understatement. Sie verstehen sich als Fahnenträger einer neu gedachten Mobilität und unterstützen Organisationen und Initiativen wie Critical Mass oder Ökolöwe Umweltverbund Leipzig e. V. und deren Aktionen.
„Wir wünschen uns, dass neben den Autos auch alle anderen Verkehrsteilnehmer als solche gleichberechtigt wahrgenommen werden. Das Auto ist nicht gleichzusetzen mit Verkehr. Wir fordern als Radfahrer die Bewegungsfreiheit in der Stadt, die uns zusteht.“
Politisch wird es auch, wenn es um die Ausbildung der Mitarbeiter*innen geht. "Einer unserer Zweiradmechaniker macht gerade seine Meisterausbildung", erzählt Susann Reuter. Jede Werkstatt braucht in Deutschland einen ausgebildeten Meister. "Allerdings muss er dafür nach Frankfurt am Main fahren, weil es in keiner Großstadt in der Umgebung, noch nicht einmal in Berlin, eine Meisterschule dafür gibt. Das ist ein Armutszeugnis für die Stadt, die Leipziger Handwerkskammer und die gesamte Verkehrspolitik der Region."
Ich habe Lust auf Lastenrad! Was muss ich tun?
Tatsächlich überlege ich schon seit Längerem, mir ein Lastenrad zu kaufen. Deshalb führe ich mit Susann dann doch noch ein klassisches Verkaufsgespräch. Das Angebot ist vielfältig. Es gibt Räder, mit denen Kinder und Hunde und/oder Waren transportiert werden können. Einige werden elektrisch angetrieben, andere nicht. Bei einzelnen Modellen sind schon Transportboxen aufgebaut, bei anderen kann der Platz selbst gestaltet werden. Kurzum: Was ich mit dem Rad mache, bestimmt das Modell. Dabei spielt das eigene Budget eine zentrale Rolle. Knapp unter 2.000 Euro kosten die günstigsten Modelle ohne E-Antrieb. Nach oben gibt es kaum Grenzen.
Ich teste ein Omnium Cargo WiFi und bin sofort begeistert. Trotz des gewöhnungsbedürftigen Handlings ist das Rad leicht und wendig. Es wiegt 18 Kilogramm und ist in einer Stadt wie Leipzig dank der 11-Gang SRAM auch ohne Elektroantrieb gut zu fahren. Danach probiere ich ein eBullitt, dass selbst ernannte Rennrad unter den Long-Johns. Ich teste es direkt vor der Halle. Auf dem firmeneigenen Parkplatz stehen kaum Autos, weil hier, na klar, alle Mitarbeiter*innen mit dem Rad zur Arbeit kommen.
Da bleibt genug Platz für ein paar Runden. Susann rät mir, beim Fahren nicht auf den Lenker zu schauen, sondern einen Punkt vor dem Rad zu fixieren. Das macht die ersten Meter leichter. Das Handling ist gut. Der Motor macht schon im Eco-Modus ordentlich Betrieb und der Akku reicht laut Display für über 140 Kilometer. Bei meinem Gewicht könnte ich das Bullitt mit zusätzlichen 120 Kilo beladen. Perfekt also, wenn ich beide Kinder dabeihabe und die Einkäufe der Woche im Fußraum der Ladebox verteile. Ich bin Feuer und Flamme, aber der Preis hält mich noch zurück.
Lastenrad als Alternative zum eigenen Auto
"Wer sich für ein Lastenrad entscheidet, tut das bewusst", erklärt Susann. "Wir haben viele Familien hier, die nach einer Alternative suchen, um sich in der Stadt unabhängiger bewegen zu können, ohne in ihrem Alltag eingeschränkt zu werden." Klar, mit einem Lastenrad kommt man zügiger durch den Verkehr, muss keinen Parkplatz suchen und die Fixkosten sind wesentlich geringer als bei einem eigenen Auto.
Gefördert und versichert
Eine Förderung für die Anschaffung gibt es im Moment nur für die gewerbliche Nutzung. Dabei unterstützt das Land kleine und mittlere Unternehmen, Vereine und Zweckverbände, aber auch Selbstständige mit einem Zuschuss von 500 Euro für Räder ohne und 1.500 Euro für Räder mit Elektroantrieb. Für mich macht das die Entscheidung deutlich leichter.
rad3 empfiehlt allen Kund*innen eine Versicherung abzuschließen, bevor sie vom Hof rollen. Die Räder werden auf Wunsch auch mit GPS-Trackern versehen und können dann im schlimmsten Fall von der Polizei schneller gefunden werden.
Lastenrad und ÖPNV
"Das ist ein schwieriges Thema", erklärt Susann Reuter. "Grundsätzlich dürfen Lastenräder mit drei Rädern definitiv nicht in den Zug. Es gibt ein paar zweirädrige Modelle, die von der Größe her als normale Räder durchgehen und deswegen erlaubt sind." Und auch für den Transport in Bus und Straßenbahn gibt es momentan noch keine Lösung. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Nach dem Gespräch mit Susann flaniere ich noch ein wenig durch die Halle und bin mir sicher, dass ich nicht zum letzten Mal hier gewesen bin. Ein Lastenrad scheint mir eine wirkliche Alternative zum eigenen Auto in der Stadt. Es ist neben dem ÖPNV und diversen Carsharing-Angeboten ein wichtiger Baustein für einen gut funktionierenden Umweltverbund. Und wenn es mir allein zu teuer ist, kann ich immer noch darüber nachdenken, es mir mit Nachbar*innen oder Freunden zu teilen.
Anfahrt rad3:
Linie 16 bis Mosenthinstrasse
Bildquelle: Christian Hüller
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