Abfischen am Schadebach: Das Wimmeln der Wasserschweine
30. November 2021 | Lesezeit: ca. 5 Minute(n)Das jährliche Abfischen an den Teichen im Gebiet des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes bedeutet für viele Menschen ein echtes Highlight. Für Betriebe wie die Fischerei Reinhardt ist es sogar existentiell.
Wie ein Kapitän auf der Schiffsbrücke steht Marcel Reinhardt auf einem Steg, der in den gestauten Schadebachteich bei Zschepplin im Landkreis Nordsachsen hineinragt. Vor ihm watet seine Mannschaft in Watthosen durch das Wasser. Unter ihm ein Kanal, in dem es in wenigen Minuten vor lauter Fisch nur so wimmeln wird. Schon in aller Früh hatten die Helfer das Netz in dem Fischteich ausgebracht, während hinter ihnen träge die goldene Oktobersonne aufging.
Nun haben sie sich entlang des Obernetzes verteilt und gehen zum Ufer hin, wo Marcel Reinhardt wartet. Und dann wird gezogen. Gezogen, gezogen und gezogen, immer in Richtung Steg. Die Wasseroberfläche wird unruhig, als mehr und mehr Fische unter Wasser in dem Netz zusammenkommen. Doch dann: Pause. An den Rändern des Netzes haben sich kleine Hechte verfangen. Zu klein, um für das diesjährige Abfischen schon zum Fang zu gehören; aber auch ein wenig zu groß, um durch die Maschen des Netzes zu entkommen. Nun gilt es, jeden einzelnen Baby-Hecht aus dem Netz zu lösen und zurück ins Wasser zu werfen.
Das ist mühsam und braucht Zeit, doch der Fischermeister und seine Helfer bleiben entspannt. Die ersten zahlenden Gäste des angrenzenden Bauernmarkts gehen bereits am Teichufer entlang, und jeder gibt natürlich angesichts dieser fummligen Arbeit einen launigen Kommentar zum Besten.
Bald schon sind alle kleinen Hechte aus dem Netz gelöst und das Netzeinholen kann endlich weitergehen. Marcel Reinhardt schaut nach unten aufs Wasser, nickt und zieht langsam das kleine Schleusentor unter sich nach oben. Das ist der Moment, für den er und die Mitarbeitenden seines Familienunternehmens das ganze Jahr arbeiten: Wenn die Ernte im Wasser nach 10 Monaten Arbeit im Oktober endlich eingefahren, oder genauer "eingefischt" wird. Die Fische werden durch den Kanal geleitet und in einem kleinen Bassin gesammelt, dort in einem Netz mit Hilfe eines Baggers herausgehoben und auf ein kleines Förderband gebracht.
Am dortigen Selektiertisch warten Helfer, die die Fische je nach Art in kleine Container aus milchig dickem Plastik hineinwerfen. Karpfen, Hechte, Welse, Schleien – alles dabei, was in der Region Schuppen und Flossen hat.
Zwischen Volksfest und Fischtheke
Zum Abfischen am Schadebach wird es an diesem letzten Wochenende im Oktober tausende Besucher*innen ziehen. Die Mischung aus regionalem Landwirtschaftsevent, fangfrischem Fisch und dem Handwerker- und Bauernmarkt hat ein ganz eigenes Flair zwischen kleinem Volksfest und Fischtheke. Für die Besucherinnen und Besucher ein willkommenes Highlight – für Marcel Reinhardt die wichtigsten zwei Tage des Jahres. "Dieser Samstag und Sonntag bringen uns 70 Prozent des Jahresumsatzes. Weihnachten und Silvester nochmals 20 Prozent." Den Rest deckt der Fischereibetrieb mit seinem Hofladen in Löbnitz ab. "Acht Wochen Stress direkt vor dem Abfischen, ohne zu wissen, was uns das Wochenende und sein Wetter bringen… eigentlich ein verrückter Job."
Aber ein Job, den er liebt.
Schon als jungscher Kerl war er bei einem Abfischen dabei gewesen, und danach hatte die Fischzucht ihn am Haken. Vor 20 Jahren machte er seine Ausbildung als Fischwirt, schob den Meistertitel nach, kaufte einen Betrieb bei Löbnitz, wurde Mitglied des Prüfungsausschusses für Azubis seines Berufs, und ist heute … ja, was eigentlich? Ein gemachter Mann? Ganz bestimmt nicht.
Viel Geld verdienen kann man mit Fischerei nicht. Das macht man entweder aus Leidenschaft und mit Leib, Seele und Wille – oder gar nicht.
"Viel Geld verdienen kann man mit Fischerei nicht. Das macht man entweder aus Leidenschaft und mit Leib, Seele und Wille – oder gar nicht"
Biofisch ohne Siegel
Genau genommen ist sein Fischereibetrieb ein Biobetrieb ohne Biosiegel. Denn Reinhardt setzt bei der Karpfenzucht auf die extensive Haltung. Das bedeutet, das er Aufzucht und Pflege möglichst nah an und mit der Natur durchführt. "Früher war das hier ein Kombinatsteich, darin wurden pro Jahr 150 Tonnen Fisch gemästet und gefischt", weiß der Fischereimeister. "Das ist aber nichts für uns. Wir möchten lieber gute Qualität bieten und produzieren deshalb nur etwa 10 Prozent des damaligen Ertrags – ohne viel Profit, dafür aber ganz natürlich." Dabei setzt er auf Karpfen als sogenannte "Wasserschweine". Sie werden landläufig so genannt, weil sie den Untergrund im Teich aktiv aufwühlen und damit vermeiden, dass ein Teich zuwächst und verschilft. "Das macht nur der Karpfen und kein anderer heimischer Fisch."
Die Aufzucht an Nachkommen der bis zu vier Kilo schweren Tiere übernimmt das Reinhardt-Team ebenfalls weitgehend selbst. In separaten, kleinen Teichen wird der Laich abgestrichen. Dann lässt man ihn brüten und verbringt später die kleinen Jungfische Schritt für Schritt in größere Teiche und lässt sie dort mit Naturnahrung wie Wasserflöhen wachsen. Das braucht zwar mehr Zeit, bedeutet mehr Aufwand und macht den Fisch auch teurer als im Supermarktregal – doch dafür kann man sich als Kund*in auch der ökologischen Qualität sicher sein.
Wassermangel bedroht eine ganze Tradition
Ein nachhaltiger Job. Wenn nur das Wetter nicht wäre. Denn das ist nicht nur am Wochenende des Abfischens ist ein ganz entscheidender Faktor, ob ein Jahr finanziell einigermaßen auskömmlich war oder nicht. Beunruhigend ist auch die Wettertendenz über die letzten Jahre. "Als ich vor 20 Jahren meine Ausbildung begann, gab es deutlich mehr Zufluss- und Quellwasser in der Region. Jetzt trocknet unser Boden von Jahr zu Jahr mehr aus."
Ob das nun der Klimawandel sei, kann der Fischereimeister nicht beurteilen. Doch der zunehmende Wassermangel ist existenzbedrohend. Irgendwann verschlammt dadurch der Boden, das Schilf übernimmt die Teiche, und eine Bewirtschaftung ist nicht mehr möglich. "Betriebswirtschaftlich müsste man sagen: Ich mach‘ den Laden zu." Das sei aber nicht sein Lebenssinn, meint er, während der die Schleuse im Steg wieder schließt. "Für mich ist mein Lebensinhalt genau das, was hier und heute passiert. Das Abfischen, der Markt, die Menschen, die Zusammenarbeit." Immerhin steht potenzieller Nachwuchs für den Betrieb bereit. Am Ende des Bachkanals und hinter dem Bassin, in dem die Fische kurz vor der Sortieranlage gesammelt werden, stehen drei Jungs im Bach. Hugo, Jaron und Valentin. Mit Keschern bestückt schnappen sie sich die ganz kleinen Exemplare, die sich durch Netz, Kanal und Gitter gemogelt haben. Die Tierchen kommen entweder in den Dorfteich oder werden im Tiergarten Delitzsch verfüttert, erklären sie mit niedlicher Expertenmiene. Bereits ganz große Fachmänner in kleinen Watthosen.
Fotoquelle: Christian Hüller
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